Das schreibt der Verlag:
Eigentlich wollte Manolita mit der Clique um ihren älteren, bildhübschen Bruder Antonio und dem kommunistischen Widerstand nichts zu tun haben. Als jedoch ihr Vater und schließlich auch ihre Stiefmutter nach Francos Machtergreifung im Gefängnis landen und Antonio sich bei seiner großen Liebe, der Flamencotänzerin Eladia, versteckt hält, muss sie die Verantwortung für die jüngeren Geschwister übernehmen. Und in Madrid ist das Überleben kurz nach dem Bürgerkrieg harter Alltag. Auf Bitten Antonios wird sie schließlich doch heimliche Botin für die Oppositionellen im Untergrund. Sie verkehrt im Palast des schwulen Marquis de Hoyos und gibt vor, mit dem schüchternen Silverio liiert zu sein, um Informationen ins Gefängnis zu schmuggeln. Ist dieser politische Häftling, der später als Zwangsarbeiter in Francos monumentaler Gedenkstätte „Valle des Los Caídos“ eingesetzt wird, wirklich der Mann, den sie dreimal heiraten wird? Und wer ist der Denunziant, der sie alle verrät? Das meisterhafte Vermächtnis der großen spanischen Autorin, die den Verlierern eine Stimme gegeben hat.
Das sagt Helene Paulig, Stammkundin der Guten Seite:
Die 18jährige Manolita steht mit vier jüngeren Geschwisterkindern von einem auf den anderen Tag alleine da. Vater und Stiefmutter sind aus unterschiedlichen Gründen inhaftiert worden, der Vater wird später ermordet. Ihr älterer Bruder, ein kommunistischer Jugendfunktionär, schafft es vom Schlachtfeld des Bürgerkrieges in ein Versteck in einer Flamencobar, das er jahrelang nicht verlassen kann.
Der spanische General Francisco Franco (1892-1975) hat 1936 mit tatkräftiger Unterstützung der faschistischen Machthaber Hitler aus Deutschland und Mussolini aus Italien mit einem Militärputsch die zweite spanische Republik zerstört und beginnt, ein brutales diktatorisches Regime aufzubauen; es besteht bis zu seinem Tod 1975. Der Spanische Bürgerkrieg endete 1939 mit der Niederlage der Republikaner*innen, Kommunisten*innen, Anarchisten*innen und anderer Oppositioneller aus der ganzen Welt. Die Internationalen Brigaden sind bekannt geworden.
So schrieb das Paar Paul Dessau und Gudrun Kabisch für die deutschen Kämpfer*innen, die in der Thälmann-Brigade auf der Seite der Republik standen, das Lied „Spaniens Himmel“, das mit der Interpretation von Ernst Busch bis heute bekannt ist. Der spanische Nationale Gerichtshof schätzt, dass mehr als 114.000 Menschen nach dem Ende des Bürgerkrieges unter der Franco-Diktatur ermordet worden sind. Es herrschten Gewalt, Repression, Hunger, Armut und Willkür.
Alles Leid, das sich ein Mensch nur vorstellen kann, legt sich auf Manolitas Schultern ab. Almudena Grandes beschreibt schonungslos und doch genau und einfühlsam, wie eine junge Frau fast darunter zugrunde geht: in den Schlangen und im Gedränge vor den Gefängnissen, in die sie über Jahre für ihren Vater, ihren Bruder, ihre Stiefmutter und Manita Lebensmittel und Hoffnung bringt; in dem abrissreifen Haus, in dem sie wohnt und Tag für Tag ihre kleinen Zwillingsbrüder versorgen muss; an der Spüle der Konditorei, in der sie durch eine Freundin Arbeit findet. Sie schaut nicht weg und sieht, wie Familien zerrissen, Frauen verzweifeln und wahnsinnig werden, weil ihre Männer, Brüder, Söhne hingerichtet werden. Manolita lernt Verzweiflung, Hass, Empathie, Solidarität, Verrat, Erpressung, Freundschaft, Einsamkeit, Ausbeutung Schutzlosigkeit und Gewalt kennen.
Dann verlangt ihr Bruder von ihr, dass sie eine Scheinehe mit einem Genossen im Gefängnis von Porlier eingehen müsse. Manita, der wegen des Drucks eines Flugblatts in dem Gefängnis vegetieren muss, sei der Einzige, der eine Idee haben könnte, wie zwei Vervielfältigungsmaschinen, die für den oppositionellen Untergrund existenznotwendig seien, repariert werden könnten. Mit 200 Peseten, einem Kilo Gebäck und einer Stange Zigaretten lässt sich der Gefängnispfarrer bestechen, um solche „Hochzeiten“ oder auch intime Stunden zwischen Paaren in einem dreckigen, stinkenden Raum im Gefängnis zu decken. Traumatisch ist diese Begegnung zur ersten „Hochzeit“ zwischen Manolita und Manita, die ihre beiden Leben verändern wird.
Die Autorin Almudena Grandes ist eine begnadete Erzählerin. Alle Figuren ihres Romans werden zu lebendigen Menschen mit Geschichte, Beziehungen, Wertvorstellungen, Konflikten und unumkehrbaren Entscheidungen. Sie müssen Verantwortung in einer Diktatur übernehmen, ob sie wollen oder nicht. Sie müssen entscheiden, ob sie für Menschlichkeit oder dagegen sind.
Eine der bedrückendsten und wütend machenden Geschichten dieses Buches ist die von Manolitas Schwestern Isabel und Pilarín. Als Töchter von Verbrechern werden sie in der Schule von Zabalbide in Bilbao aufgenommen mit dem Versprechen, ausgebildet zu werden. Manolita ist erleichtert, so kann sie sich nur noch auf die Betreuung der Zwillinge konzentrieren. Die Nonnen des Ordens Ángeles Custodios jedoch unterziehen die jüngeren Mädchen einer Gehirnwäsche im Sinne der faschistischen Diktatur von Franco und die älteren wie Isabel dürfen nicht lernen, sondern müssen Zwangsarbeit leisten. Durch die jahrelange Arbeit in der Wäscherei, in der nicht mit Seife, sondern mit billigem Soda Hotel- und Krankenhauswäsche gereinigt wird, werden Isabels Hände und ihr ganzer Körper fürs Leben gezeichnet. Diese Verbrechen des katholischen Ordens sind bis heute nicht aufgearbeitet.
Es war diese Isabel Perales, die Almudena Grandes ihre Geschichte 2008 erzählte. Sie war der Anstoß für diesen Roman. Es geht in ihm um die Verteidigung von Menschlichkeit und Würde. Er lässt körperlich spüren, welchen Schmerz Menschen dafür aushalten müssen. Er holt die Stillen, die Unsichtbaren aus dem Dunkel, die keine politische Fahne vor sich hertragen, aber das Rückgrat der Gesellschaft sind.
Die Autorin ergänzt ihren Roman mit Anmerkungen, die die Geschichten ihrer Figuren einordnen in die gesellschaftlichen Entwicklungen von Spanien seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Es hat nach dem Tod von Franco und seit den ersten freien Wahlen in Spanien im Jahre 1977 keine Aufarbeitung der Diktatur, der Niederlage der Republikaner und der Verbrechen an tausenden Menschen gegeben. Das Franco-Erbe beschäftigt die Gesellschaft bis heute. Die „Vereinigung zur Wiedererlangung des historischen Erbes“, die im Jahre 2000 gegründet wurde, kämpft u.a. für die Rehabilitierung der Opfer. Der Roman von Almudena Grandes, die 2021 gestorben ist, lässt verstehen und fühlen, warum das so wichtig und notwendig wäre, nicht nur für das Verständnis von europäischer Geschichte.
Helene Paulig
Almudena Grandes: Die drei Hochzeiten von Manolita
Erschien im September 2022 im Hanser Verlag.
Gebunden, 672 Seiten, Originaltitel: Las tres bodas de Manolita.
Aus dem Spanischen übersetzt von Roberto de Hollanda,
In unserem Webshop: €30, ebook €23,99.
Almudena Grandes starb 2021. Zum Los- und Weiterlesen:
>> Mehr zum Spanischen Bürgerkrieg in Almudena Grandes’ Roman Inés und die Freude.
>> 1947 spielt dieser Grandes-Roman und erzählt vom Widerstand gegen das Franco-Regime: Der Feind meines Vaters (Im Original: Der Jules-Verne-Leser)
>> 2018 verfasste Grandes eine Art zeigenössischen Kiezroman, in dem sie ein Madrider Viertel porträtiert: Kleine Helden.