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Eva Menasse: Dunkelblum

Das schreibt der Verlag:
Jeder schweigt von etwas anderem.
Auf den ersten Blick ist Dunkelblum eine Kleinstadt wie jede andere. Doch hinter der Fassade der österreichischen Gemeinde verbirgt sich die Geschichte eines furchtbaren Verbrechens. Ihr Wissen um das Ereignis verbindet die älteren Dunkelblumer seit Jahrzehnten – genauso wie ihr Schweigen über Tat und Täter. In den Spätsommertagen des Jahres 1989, während hinter der nahegelegenen Grenze zu Ungarn bereits Hunderte DDR-Flüchtlinge warten, trifft ein rätselhafter Besucher in der Stadt ein. Da geraten die Dinge plötzlich in Bewegung: Auf einer Wiese am Stadtrand wird ein Skelett ausgegraben und eine junge Frau verschwindet. Wie in einem Spuk tauchen Spuren des alten Verbrechens auf – und konfrontieren die Dunkelblumer mit einer Vergangenheit, die sie längst für erledigt hielten. In ihrem neuen Roman entwirft Eva Menasse ein großes Geschichtspanorama am Beispiel einer kleinen Stadt, die immer wieder zum Schauplatz der Weltpolitik wird, und erzählt vom Umgang der Bewohner mit einer historischen Schuld. »Dunkelblum« ist ein schaurig-komisches Epos über die Wunden in der Landschaft und den Seelen der Menschen, die, anders als die Erinnerung, nicht vergehen.

»Die ganze Wahrheit wird, wie der Name schon sagt, von allen Beteiligten gemeinsam gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann immer gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gedächtnis.«

Das sagt Die gute Seite:
Beeindruckender Fokus darauf, wie das Leben nach dem Krieg mit seinen Verbreche(r)n als Dorfgemeinschaft weitergeht, wie manche Rollen bleiben, andere sich ändern. Wie es sich auch Jahrzehnte später noch auswirkt, wenn Grenzsteine verschoben wurden, wenn jemand Hab & Gut verlor, wenn es drauf ankam, wer zur rechten Zeit den Schlüssel zum Hotel in die Hand bekam und wer die besten Grundstücke am Ort. Oder aber wie sich Grenze anfühlt, die ganz plötzlich da ist, wo der Bub doch gerade noch immer mit dem Rad langfuhr. Wie sich Dort zu Drüben wandelt.

Als Freiwillige einen Friedhof wieder freilegen, zeigt sich die Bedeutung von genau solchem Tun. Hier werden nicht nur Steine freigelegt, Geschichte geschrieben, Vergessenes neu gekleidet und Erinnerungen poliert, sondern auch Wunden wieder aufgerissen, Gräber gesucht, Frieden gewünscht.

Eva Menasse lässt eine auktoriale Erzählerin schildern, wie das fiktive Dorf Dunkelblum im österreichischen Burgenland an der ungarischen Grenze seine ganz eigene Aufarbeitungsgeschichte angetrieben bekommt durch die Friedhofsfreilegung, Druck an der Grenze und Menschen, die sich interessieren: Junge, Alte, Wiederkehrer, Unbekannte. Ihr Witz, ihre feine bis überdeutliche Ironie, Dialekteinflechtung, verschiedene Zeitachsen und eben ein Dorf voll Personen machen die Lektüre zu einem herausfordernden wie diamantgeschliffenem Leseerlebnis.

Sprachlich ziseliert, im Fortgang in den Zusammenhängen immer erhellender, begreifender, erkennender. Kein großer Schluss mit einem Paukenschlag und kein überraschender Turn. Hat “Vergangenheit” auch nicht nötig. Und doch nimmt der Roman durch die zunehmenden Verknüpfungen der Personen durch die Zeit fortwährend an Fahrt auf, der im Lesesog endete. So kann Literatur Geschichte.

Friederike Hartwig

Eva Menasse: Dunkelblum
Erschien im August 2021 im Verlag Kiepenheuer & Witsch/ Holtzbrinck Publishing Group
432 Seiten, In unserem Webshop: €25, ebook €22,99.