AUSSTELLUNG
highway to hell
Petra Kübert, 2023:
Länge: 3,2 Kilometer, Tiefe: bis zu 30 Meter, Volumen: 650.000 Kubikmeter Beton, Gewicht: allein 750.000 Tonnen Stahl.
In der Nähe meines Wohnortes gräbt sich die Autobahn A 100, eine riesige Betonschneise, durch Neukölln. Ein scheinbar ruhendes retro-futuristisches Baustellenszenario, eine Sichtbetonlandschaft mit brutalistischer Architektur, eingezeichnet in die Stadtlandschaft.
Der weitläufige, einsame Ort wirkt durch seine Dimension, Materialität und Formensprache dystopisch. Ich entdeckte immer wieder neue Spuren und Formen der Aneignung. Die kryptischen Grafittis könnten auch Markierungen der Bauarbeiter*innen sein. Die Baustelle schien sich in der Pandemie und darüber hinaus als informeller Treffpunkt zu etablieren. Rätselhafte Bilder und Situationen passierten auch dadurch, daß Pflanzen und Tiere diesen Ort immer wieder besiedeln und für sich entdeckten.
Hier entstand auf Zeit ein Schwellenraum, eine in den 60er Jahren geplante und seit 2016 in Neukölln realisierte Vervollständigung des Berliner Autobahnringes, dessen Zukunft in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels umstritten ist.
Diesen Ort, außerhalb der Orte, habe ich 2020-23 zusammen mit Christina Zück immer wieder durchwandert und fotografiert. Mittels künstlerischer Recherche, deren Ergebnisse wir 2023 im Museum Neukölln in einer Rauminstallation mit großformatigen Fotoarbeiten, ortsspezifischen Malereien, Videoinstallation, speziell für den 16. Bauabschnitt der A 100 angefertigten Bauelementen des Entwässerungssystems aus Hightech-Polymerbeton zu einander in Bezug setzten und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machten, eigneten wir uns diesen heterotopischen / utopischen / Ort an.
Der Zwischenzustand, die Zeit der Brache, endet nun in absehbarer Zeit. Aktuell scheint die neue Stadtautobahn fast schon befahrbar. Auch die rot /grüne Bundesregierung hat nicht versucht dies effektiv in Frage zu stellen. Jeder Meter kostete 200.000 €. Bäume wurden gefällt, 370 Kleingärten und 4 Wohnhäuser mit 100 Wohnungen geräumt, Betroffene warten auf Entschädigung. Die autogerechte Stadt ist eine Vision der 60er Jahre, das Baumaterial Beton hat eine schlechte CO2 Bilanz. Die Autobahn ist in Arbeit, aber noch könnte sie umgewidmet werden.
Zuletzt habe ich mich, meinen Körper, innerhalb der Fotoserie highway to hell zu diesem Ort, zu einem seiner architektonischen Details, ins Verhältnis gesetzt. Wer auch immer die unter Wasser gegossenen skulptural anmutenden und überall im geplanten Autobahnverlauf auftauchenden kantigen Betonträger / Betonwesen entworfen hat –
ich werde sie und die Zeit, in der man sich hier noch alles Mögliche, ausser einer Autobahn vorstellen konnte, vermissen, wenn sie wie geplant im Asphalt versinken.
Für die Fotoserie begleiteten und fotografierten mich Freundinnen, wie ich mich dem allerletzten Betonträger / Betonwesen des Autobahnabschnittes 16 der A 100 annähere, mit ihm ringe, bevor es, wie die anderen im Asphalt versinkt, unter der Haut der Stadt verschwindet.
„Heterotopien sind wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermassen Orte ausserhalb der Orte.“
Michel Foucault 1967, Andere Räume
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