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Fen Verstappen: Lebenslektionen meiner Mutter

>>Was für ein Juwel: Tolle Sprache, Debüt, Übersetzung, schmaler Band, fein bis in die Herstellung inkl. Cover und Umschlag – mal wieder ein echter Droschl!

Das schreibt der Verlag:
Wie soll man alles wieder ins Lot bringen, wenn mit der Mutter eine ganze Familie unterzugehen droht?
Der Zusammenhalt in der Familie könnte nicht besser sein: wie perfekt ineinandergreifende Zahnräder funktionieren die Mitglieder. Jedes Jahr stellen sie auf der Modemesse in Paris in einem gemeinsamen Showroom aus: die Mutter ist Modedesignerin, Tochter Biek fertigt Taschen an, Sohn Tijn macht Schmuck – und die Erzählerin, eine Werbetexterin, organisiert und unterstützt still und heimlich aus dem Hintergrund ihre Geschwister und ihre Mutter.

Wie aus dem Nichts gerät das Zahnradwerk jedoch ins Stocken: die Mutter erleidet einen Schlaganfall. Als sie aus dem Koma erwacht, ist sie nicht mehr in der Lage zu kommunizieren. Vorbei ist es mit der selbstbewussten, schlagfertigen Frau, die sie war, vorbei mit einem Leben voller nächtlicher Cafébesuche und viel harter Arbeit. Die drei Kinder versuchen, die Pflege ihrer Mutter in ihr Leben zu integrieren und den herben Schicksalsschlag zu verarbeiten. Denn wie trauert man, wenn jemand weg ist, aber nicht stirbt?

Lebenslektionen meiner Mutter ist ein behutsamer und zärtlicher Familienroman. Fen Verstappen zeigt in ihrem Debüt, wie wichtig ein starker Familienzusammenhalt ist, wie viel Kraft und Hoffnung man einander geben kann und dass man den Glauben an eine positive Wendung nie aus den Augen verlieren darf.

Das sagt Die gute Seite:
Zum Glück war es eine meiner Blindlektüren. Ich hatte also den Klappentext nicht gelesen, sondern lediglich den hinten aufgedruckten Satz: “Ein behutsamer und zärtlicher Familienroman über Zusammenhalt und die Hoffnung auf eine positive Wendung.”

Bei der Erwähnung von “Wachkoma” wäre ich wohl ausgestiegen, denn lange Trauer- und Krankenhausgeschichten hätte ich mir gerade nicht freiwillig auf den Tisch gezogen. Aber es geht letztlich um das Davor und das Damit aus der Perspektive der drei erwachsenen Kinder. Die Erzählerin hat mit dem Schlaganfall ihre eigene Mutter (auf die gewohnte Weise) verloren und wird nun selbst Mutter: “Und eines Tages schlüpft man in die Mutterrolle. Eines Tages legt man sie ab.”

Wir erfahren in Rückblenden von “Vier Wochen vor Paris” bis “Neun Monate nach Paris”, wie die erwachsene Familie tickt, die so eng verbunden ist in aller Differenz, in der die Muster vibrieren und durch die gemeinsame Messestandbetreuung ein jährlicher Familienknotenpunkt entsteht. Der getrennt lebende Vater gehört als sehr entfernter Satellit ebenfalls zum Familienorbit, dessen Zentrum jedoch eindeutig die Mutter ist.

Die besondere Intimität entsteht in diesem wirklich sehr schmalen und daher gut, schnell und intensiv lesbaren Band durch die Ansprache der Mutter durch die Erzählerin:

“Ich wusste, dass alles, was dich ausmachte, davon abhing, wer du in Paris sein konntest. Also versuchte ich, an die große Freude von Biek und Tijn zu denken, an die Rührung von Jans Familie, und ich versuchte mich nicht daran zu stören, dass von dir gar eine Reaktion kam.”

Fen Verstappen gelingt es wirklich fabelhaft, die erzählte Gefühlsverbindung der Tochter zur Mutter hin zu einer Art Doppelbiografie aus Sicht der Tochter zu verdichten. Nur in den fünf titelgebenden “Lebenslektionen meiner Mutter” kommt die Mutter direkt zur Wort. So heißt es in Nr. 1 u.a.:

“Misstraue Macht. Setz dich zur Wehr, wenn du von fehlplatzierten Machthabern in die Mangel genommen wirst, vor allem wenn es um Schaffner geht. Neunundfünfzig Jahre auf dem Buckel sind kein Grund, sich nicht mit der Bahnpolizei anzulegen. Auch nicht, wenn man dadurch eine Diplomfeier verpasst.”

Das ist berührend, weil es eine Erfahrungsweitergabe von Mutter an Tochter ist. Das ist witzig, weil der Schaffner der Machthaber ist. Das ist bestärkend, weil Alter thematisiert und als wichtige Kategorie verworfen wird. Das ist tragisch, weil die Erzählerin vermutlich diejenige war, die ohne Mutter auf ihrer Diplomfeier stand und sich eher gewünscht hätte, das die Mutter ihre Charakterstärke an anderer Stelle unter Beweis gestellt hätte.

Und so schafft die Autorin in ihrem Debüt – mit durchaus auch feiner Ironie – zwischen ihren starken Figuren eine große Nähe, Berührtsein, Zweifel, Liebe, Genervtheiten und spinnt so ein großes Gemeinsames, das sich durch die veränderte Situation für Alle nun neu darstellt. Und trotzdem gemeinsam.

Friederike Hartwig

Fen Verstappen: Lebenslektionen meiner Mutter
Erschien im Februar 2023 im Literaturverlag Droschl.
Gebunden, 133 Seiten, Originaltitel: Moeder af.
Aus dem Niederländischen übersetzt von Janine Malz,
In unserem Webshop: €22, ebook €18,99.