Die Autorinnen-Lesung zum Buch: Sa, 20. Mai 2017 um 15h in der Guten Seite.
Das schreibt der Verlag:
Jeden Tag schwimmt Walter Nowak seine Bahnen im Freibad. Eines Morgen bringt eine Begegnung ihn aus dem Konzept, mit fatalen Folgen: Walter findet sich der Länge nach ausgestreckt auf dem Boden seines Badezimmers wieder, bewegungsunfähig und auf sich allein gestellt. »Von nun an geht es abwärts, immer abwärts«, schießt es ihm durch den Kopf. Zunehmend verliert er die Kontrolle. Gedankenfetzen, Bilder aus der Vergangenheit stürzen auf ihn ein: das Weihnachtsfest mit seiner ersten Frau Gisela, ihr Schweinebraten, ihre Tränen; der Blick seines Sohnes Felix, als er von der Trennung erfährt; Erinnerungen an seine eigene Kindheit als unehelicher Sohn eines GIs; und, vor kurzem, die Diagnose seiner Ärztin. Während nach und nach alles vor seinen Augen verschwimmt, ziehen seine Gedanken immer engere Kreise, nähern sich einem verborgenen Zentrum, dem Anfang, dem Ende … Als das Hitzegewitter endlich losbricht, steht plötzlich sein Sohn Felix vor der Tür.
Das sagt die Gute Seite:
Es fängt bereits haptisch schön an: Auf dem Buchtitel in gedecktem, nicht peinlichem, Lilatürkis eindeutig die Bahnmarkierungen eines Schwimmbadbodens. Es ist toll, das Buch in der Hand zu halten. Wunderschön glatt-kühl-glänzend der gestrichene Schutzumschlag außen. Wie Beckenrandkacheln. Unterm Umschlag dann Kraftpapierrillen. Wie rutschhemmende Bodenfliesen, die bei Nässe das Ausrutschen verhindern sollen.
In einem Freibad beginnt denn auch das Buch, denn Protagonist Walter Nowak zieht dort täglich einen Kilometer lang seine Bahnen. Gegen körperliche und gedankliche Widerstände:
“Am Anfang sind die Arme immer etwas schwer, ein Ziepen in den Muskeln, das hält ein, zwei Bahnen an, ein Zerren ist das, wie Blei. Aber das legt sich. Man muss nur die Zähne zusammenkneifen, die Arschbacken, beißen. In den Schmerz hineinschwimmen. Die schwarze Linie am Boden des Beckens hilft, immer weiter, ich ziehe mich an der Linie unten entlang, Zug um Zug, nicht nachdenken. Links rechts links, atmen, irgendwann kommt Schwung in die Sache, wenn die Muskeln erst einmal warm sind, komme ich in Fahrt, mein Körper eine kleine Maschine, das Herz trommelt den Rhythmus. Was sagen Sie dazu, Frau Doktor? Der ist doch noch ganz gut in Schuss?” (S.8)
Die direkte Anrede täuscht.
Walter Nowaks ansprachegleiche Selbstrede sind immer nur innerer Monolog in der Ich-Perspektive. Das ist an sich nicht neu. Doch die verknappten Hauptsätze, das Fehlen jeglicher Relativkonstruktionen, der genüssliche Vielgebrauch von Kommata, der Mangel an Anführungszeichen und satzbeendende Spiegelstriche schaffen Unmittelbarkeit. Die Leserin* vollendet die Satzanfänge im Kopf. Liest automatisch aktiv mit; ist mit dabei.
Wer schon einmal ein Gespräch aufgenommen und dann transkribiert hat, weiß, dass verschriftlichte mündliche Rede nur selten gut lesbar ist, geschweige denn Literarizität jedweder Form versprüht. Wenn es sich nicht um einen ausgearbeiteten Vortrag handelt, schaffen auch nicht vorbereitete Eigenerzählungen das kaum.
Doch Nachkriegskind Walter Nowak nimmt uns mit seiner gestückelten Erinnerungsreise gefangen. Julia Wolfs beeindruckende Sprache ist schließlich Mittel der Erzählung: Der eines Nachkriegskindes.
Nachkriegskind heute
Während Sabine Bode in ihren Sachbüchern Geschichte und Traumata aufbereitet, Kriegsenkel wie Matthias Lohre sich biografisch annähern, schlagen aktuellere Romane wie Christoph Heins Glückskind mit Vater und Regina Scheers Machandel (beide endlich auch im Taschenbuch!) den großen Jahrhundertbogen. Walter Nowak hingegen, aufgewachsen in der US-amerikanischen Besatzungszone, lebt im Hier und Jetzt. Ein Mann seiner Zeit mit Machoallüren und Beziehungs- und Familienproblemen.
Trennungskinder
Die Trennungsthematik griff die Autorin auch schon in ihrem ebenfalls wundervoll-schrecklichen Debütroman Alles ist jetzt auf. Damals folgte die Leserin der verlassenen Tochter, hier nun dem verlassenden Vater. Wieder gibt es eine Reise in die USA, die dem Kind Freude machen und das gestörte Verhältnis kitten soll. In beiden Fällen geht es schief, ist der Vater hinfort, produziert noch mehr unangekündigte Leere. In Alles ist jetzt manifestiert sich dies im Swimmingpool im Familiengarten, der nie fertig wurde und klaffende wunde Erinnerung bleibt. Das Titelbild ziert übrigens eine Schwimmbadleiter auf gelbem Grund – auf glatt-kühl-glänzend gestrichenem Schutzumschlag über wundervoll haptisch gerilltem Einband…
Zusammengefasst: Darum lesen!
Tolle Sprache und Andocken in der Gegenwart, um von dort in mal kurzen, mal langen Bahnen in die Vergangenheit und Gegenwart eines Nachkriegskindes aus Westdeutschland zu schwimmen.
Übrigens: Bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur wurde ein Auszug aus Walter Nowak bleibt liegen mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet. HIER findet sich eine Aufnahme der Lesung sowie der Jurydiskussion.
Julia Wolf live erleben? Herzliche Einladung zur Autorinnenlesung in Der guten Seite!
Julia Wolf: Herr Nowak bleibt liegen
Frankfurter Verlagsanstalt
Erschienen März 2017
157 Seiten
Gebunden €21,-
epub €14,99
Leseprobe hier
Julia Wolf: Alles ist jetzt
Frankfurter Verlagsanstalt
Erschienen Februar 2015
160 Seiten
Gebunden €19,90
epub €9,99