Das schreibt der Verlag:
Josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren Kindern ganz am Rand eines Bergdorfes, fernab der restlichen Bewohner. Sie sind die Abseitigen, die Randständigen, die Armen, die Bagage. Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs und Josef wird zur Armee eingezogen. Es ist die Zeit, in der Maria und die Kinder allein zurückbleiben und abhängig werden vom Schutz des Bürgermeisters. Es ist die Zeit, in der Georg aus Hannover in die Gegend kommt, der nicht nur hochdeutsch spricht und wunderschön ist, sondern eines Tages auch an die Tür der Bagage klopft. Und es ist die Zeit, in der Maria schwanger wird mit Grete, dem Kind der Familie, mit dem Josef nie ein Wort sprechen wird: der Mutter der Erzählerin.
Das sagt Helene Paulig, Stammkundin der Guten Seite:
Was für ein Zufall? Im März habe ich für Die gute Seite das Buch von Helena Adler Die Infantin trägt den Scheitel links besprochen. In dem heutigen Text geht es um Monika Adlers Die Bagage. Beide Titel sind vielschichtig. Beide Autorinnen sind Österreicherinnen, sie gehen auf die Suche nach ihrer Familiengeschichte. Die Familien lebten im vorigen Jahrhundert in Dörfern. Beide – das ist eine seltsame Verbindung – beziehen sich in ihren Romanen auf Gemälde von Pieter Bruegel. Die Stimmung ist ähnlich, hat etwas Melancholisches, hartes und weiches, liebendes und vages, anziehendes und abstoßendes. Beide Bücher sind schmale Bändchen und dicht geschrieben in fesselnder Sprache.
Als ich über Helena Adlers Buch schrieb, hatte ich keine Rezension darüber gefunden. Das ist bei Die Bagage anders. Alle Medien, die beim Feuilleton etwas auf sich halten, haben das jüngste Werk der 1947 geborenen Monika Helfer besprochen. Alle, die ich lesen konnte, waren des Lobes voll. Hat es da noch Sinn, eine weitere Empfehlung hinzu zu setzen? Warum nicht.
Nachforschungen
Die Autorin nimmt ihre Leser*innen mit zu ihren Nachforschungen, wie sie es nennt. Das ist bei der Vielfalt und Größe der Familie nicht einfach, die Annäherung erfolgt assoziativ, sprachlich grandios. Ihre Mutter Grete, die schon mit Anfang 40 starb, hat sechs Geschwister. Schwester Katharina-Käthe wird über 90 und lädt ihre Nichte, die nach dem Tod der Mutter und Schwester bei ihr wohnte, zu den Nachforschungen ein. Zu spät. Gerade rechtzeitig.
Familienworte
„Schau mir ins Augeninnere!“ sagt Mutter Grete zur Erzählerin, die diesen Begriff nervig findet. „Das habe sie von ihrer Mutter, sagte sie. ‚Von deiner schönen Großmutter.‘ Und sprach in einem Atemzug weiter: ‚Die war wie du.‘“ Die schöne Großmutter Maria, der Mittelpunkt der „Bagage“. Auch so ein Begriff. „Pass auf, dass du nicht so wirst wie sie!“, noch eine Formel, die bis zur Erzählerin kam. Immer diese Andeutungen, schreit sie ihrer Mutter entgegen. Wer kennt sie nicht, diese Familienworte, die viel sagen und nichts, die in Schichten gelegt sind, die nicht erklärt werden.
Schön sein und Frau sein
Die Sache mit der legendären Schönheit der Bäuerin Maria, die mit ihrem ebenfalls schönen Mann Josef und ihren Kindern abseits lebt, ist im Grunde keine Geschichte der Schönheit. Es ist die Erzählung von einer Frau, die lieben möchte, frei sein will, die selbst bestimmen möchte, wer ihr guttut. In Wahrheit wird sie mit ihren Kindern abhängig vom Bürgermeister, als Mann Josef 1914 zum Militär eingezogen und in den Krieg geschickt wird. Der Bürgermeister nimmt den Auftrag von Josef an, auf Maria aufzupassen, wenn er im Felde sei; er versorgt die Familie mit Nahrung und will Maria besitzen. Es stehe ihm zu; so denken viele Männer im Dorf, die Fantasien ihrer Frauen verwandeln Maria in eine Hexe.
Der Besuch eines Fremden bringt die Gerüchte- und Höllenküche zum Brodeln, Maria hat keine Chance. Der Pfarrer montiert sogar das Kreuz im Hause ab. Grete, die Mutter der Erzählerin wird geboren im Krieg, Vater Josef vertraut seiner Frau nicht. Ein Kind zu übersehen und kein Wort mit ihm zu sprechen, ist psychische Gewalt. Was macht das mit Grete und mit ihrer Tochter, der Erzählerin?
Die Bagage ist auch eine fein erzählte Geschichte über die Auswirkungen von Krieg auf Soldaten, auf ihre Familien und die Gesellschaft, hier die Gemeinschaft eines Dorfes, über Generationen hinweg; und das alles auf nur 159 Seiten. Der Weg der Autorin ins Kunsthistorische Museum Wiens zu Pieter Bruegels Die Kinderspiele schlägt den Bogen zu den Generationen vor dem 20. Jahrhundert:
„… und da waren sie alle, die ganze Bagage, sie tollten über das Bild hinweg, lachten und greinten und johlten sich zu oder tuschelten, und ich stand davor und musste lachen.“
Monika Helfer: Die Bagage
Roman, 158 Seiten, erschien im Februar 2020 im Carl Hanser Verlag
Gebunden €19/ epub €14,99 – zum Webshop
Audio-CD (ungekürzte Autorin-Lesung) €19/ mp3 €14,99
Weitere Bücher der Autorin beim Hanser Verlag UND beim Verlag jung&jung (Schau mich an, wenn ich mit dir rede! war Buchpreis-Longlist-nominiert)!