Das schreibt der Verlag:
Im Frühjahr 1947 hüpft die Buchhändlerin Emilie Reber von einem Linienschiff auf den Landungssteg einer Kleinstadt am Bodensee. Zurückgekehrt aus der Résistance, eröffnet sie mit französischer Hilfe eine Leihbibliothek und macht sich daran, die gesellschaftlichen Verkrustungen der Nachkriegszeit mit Literatur aufzubrechen. Kein leichtes Unterfangen, wollen doch die Kleinstädter Ruhe, vergessen und schon gar nicht, dass jemand in ihren Wunden stochert. Vorerst legt sich die Buchhändlerin alleine mit dem Städtchen und den Altnazis an, bis sie zwei Freundinnen und Mitstreiterinnen findet.
Gemeinsam mit einem Kunden der Buchhandlung stemmen sich die drei Frauen dem eisigen Schweigen mit Literatur, Mode und Musik entgegen. Mit Mut, Beharrlichkeit und Lebenshunger behaupten sie gegen alle Widerstände ihr eigenes Leben.
Das schreibt Helene Paulig, Stammkundin der Guten Seite:
Lesen bildet. Wer dieses Buch liest, erhält einen Überblick über die progressive Literaturgeschichte in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg im Westen Deutschlands. Denn man begegnet der Buchhändlerin Emilie Reber auf ihrem Weg aus einer kaiserlichen Beamtenfamilie, die Betreuung der Freiheitsbibliothek im Pariser Exil nach der Errichtung der NS-Diktatur 1933 über ihren Kampf in der Résistance bis zum Aufbau einer Buchhandlung am Bodensee.
Alle Werke von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“, über die Bücher der „Gruppe 47“ bis zu den Schriften von Hannah Arendt kommen ins Schaufenster und sind damit eine Provokation für die Menschen in der Kleinstadt, die nach NS-Diktatur und Krieg zur Ruhe kommen wollen. Aber vor allem wollen sie vergessen, denn sie tragen doch keine Schuld an den Verbrechen an Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Fremdarbeitern und KZ-Häftlingen, die ganz in ihrer Nähe einen Stollen für Kriegsproduktion ausbauen mussten.
Keiner weiß etwas, keiner hat etwas gesehen, keiner etwas getan. Und dann gibt es noch diejenigen, die Hitler immer noch vergöttern, die die Besatzungsmächte für die eigentlichen Invasoren halten und ihren Hass gegen angeblich wehrkraftzersetzende Elemente wie Emilie Reber im Dunkeln ausleben. Ein Protagonist erklärt: „… Deutschland war groß, mächtig, die Schmach von Versailles durch Hitler ausradiert, alles war möglich, und jetzt wird uns wieder von allen auf den Kopf geschissen. So sehen die das.“
Da landen Stinkbomben und Gewehrkugeln in der Buchhandlung, da wird mit Ausgrenzung und Boykott gearbeitet. Die Buchhändlerin jedoch ist furchtlos und unabhängig. Dieses Buch ist eine überzeugende Hommage an (politisch) engagierte Buchhändlerinnen und Buchhändler, die mit Literatur, Wissen und Intelligenz ihrer Profession nachgehen. Es gibt sie auch heute noch.
Literaturgeschichte ist Gesellschaftsgeschichte. Wer nicht nur wissen, sondern auch spüren möchte, wie Antifaschisten sowie Demokratinnen und Demokraten nach dem Ende von NS-Diktatur und Krieg in ihrem Sinne weiter kämpfen mussten um Freiheit, Gerechtigkeit, Humanismus und Frieden, der liest dieses Buch.
Der Autor erfindet nicht nur die Buchhändlerin, sondern auch ihre Mitstreiterinnen: eine junge Friseurin, eine Modeboutique-Besitzerin und einen Schriftsteller, der als Jude Deutschland verlassen musste, um überleben zu können, und wegen der deutschen Sprache wieder zurückgekehrt ist. In „Schmelzwasser“ schließen sie einen Freundschaftsbund, der vor allem durch Earl Grey Tee, Chablis und den Bodenseefisch Felchen zusammengehalten wird. Kampf kann auch Stil haben.
Patrick Tschan legt ein Buch vor, das Freude macht zu lesen wegen seiner überzeugenden Figuren. Emilie Reber ist politisch klar, aber sie wehrt sich mit Händen und Füßen, Taschenbücher zu verkaufen. Literatur in Pappdeckeln? Unmöglich. Sie hat wie alle anderen Figuren Ecken und Kanten, ist nicht stromlinienförmig, aber feinsinnig, unbeirrbar, klug, ideenreich und witzig.
Wer weiß schon, was sich nach 1945 tatsächlich abspielte in deutschen Köpfen, wie zäh es war, zu reden, zu forschen, zu fragen gegen das Vergessen? Eis musste zum Schmelzen gebracht werden. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden immer weniger. Wie gut, dass es Bücher wie „Schmelzwasser“ gibt.
Patrick Tschan: Schmelzwasser
Erschien im Juli 2022 im Braumüller Verlag,
Gebunden, 336 Seiten.
In unserem Webshop: €25, epub €21,99.