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Wolfgang Schorlau: Kreuzberg Blues/ & TV-Doku UNGLEICHLAND

Das schreibt der Verlag:
Denglers zehnter Fall führt ins Herz des gegenwärtigen Kampfs um das Recht auf Wohnen.

Georg Dengler fühlt sich in Stuttgart so wohl wie schon lange nicht mehr, und auch mit Olga läuft es besser denn je. Trotz der aufziehenden Corona-Pandemie lässt er sich von ihr überreden, in Berlin zu ermitteln. Dort scheint ein Immobilienhai seine Mieter mit kriminellen Methoden rauszuekeln. Doch Dengler muss erkennen, dass die Sache größer ist, viel größer. Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt: In einem Radius von wenigen hundert Metern vereinen sich in Kreuzberg Plattenbauten, schicke Townhouses, die türkische Community und der Schwarze Block. Ausgerechnet hier will der Bauunternehmer zwei Häuser »entmieten«, den danebenstehenden Kindergarten abreißen und ein neues Townhouse bauen. Dazu ist ihm jedes Mittel recht. Die Mieter*innen wehren sich. Eine von ihnen bittet ihre Freundin Olga um Hilfe. Plötzlich stehen sie und Georg Dengler mitten im modernen Berliner Häuserkampf um das Recht auf Wohnen. Dann fällt ein Spekulant vom Dach eines der umkämpften Häuser – und die Lage eskaliert. In seinem zehnten Dengler-Krimi erweist sich Wolfgang Schorlau erneut als ein Meister des politischen Romans. Hochaktuell und spannend.

Das sagt Die gute Seite:
Wir empfehlen dieses Buch hier an dieser Stelle, weil der “neue Schorlau” es wieder schafft eine politische Gemengelage gut verständlich ins Zentrum der Krimi-Aufmerksamkeit zu stellen. Wie auch in anderen Dengler-Büchern besticht der aktuelle Fall des Ermittlers nicht durch seine besondere Literarizität, spannende Montage oder gar authentische Tiefe seines Personals. Aber er ist relativ aktuell (Martin fällt Verschwörungstheorien anheim), wendet sich auch prekären Erwerbsbiografien zu (Dengler selbst, Schriftstellerfreunde, Olga) und thematisiert Privilegien.

Es liest sich so weg und schafft gerade durch die zum Teil sehr plakative Zusammenschau den Mix aus linear erzählter Unterhaltungslektüre/ als Krimi/ mit bekannten Figuren/ über ein virulentes Thema. Das ist Wolfgang Schorlaus großer Verdienst: gut lesbar immer ran an aktuelle politische Problemlagen und Themen: Treuhand, Pharma & Stuttgart 21, München-Attentat, Massentierhaltung, Kriegserbe, Wehrmachtsverbrechen, Wasserrechte, Auslandseinsatz der Bundeswehr usw. Jetzt die Bau- und Mietenpolitik.

Abstriche gemacht, weil Themenbehandlung an sich wichtig

Wohlwollend habe ich bisher denn auch Abstriche machen können: Dass der Plot doch sehr auf den Zufallspunkt gedreht ist (das eine Foto, das auf die bekannte Person im Wehrmachts-Massaker-Dorf Distomo verweist in Der große Plan) oder die Erzählung in der Auswahl ausgerechnet der Geheimdienst(verschwörungs)theorie folgt (Nazi instrumentalisiert vom CIA im NSU-Krimi Die schützende Hand), wie wahrscheinlich der plaudernde Pharma-Chef ist (Die letzte Flucht). Literarische Freiheit…!

Schorlaus Frauenfiguren sind in meiner Wahrnehmung immer sehr viel körperlicher beschrieben als männliche Charaktere. Auch in diesem Buch bleibt von Hatice vor allem der Gang mit den wiegenden Hüften. (Im neuen 2. Morello-Krimi von Schorlau/ Caiolo Die Tintenfischer braucht es keine 40 Seiten, bis der Commissario quasi beschlafen wird und sich seine nasse Kollegin vor ihm bis auf die Unterwäsche auszieht.)

Literarische Freiheit oder Abkupfern von Vorlagen?

Was mir jedoch die Schuhe ausgezogen hat, war ein Fernseherlebnis. Endlich, endlich nahm ich mir die Zeit, um die mir oft empfohlene TV-Doku UNGLEICHLAND-Reichtum zu schauen. Offenbar hatte Schorlau sie sich teilweise zur Inspiration oder auch Vorlage für Kreuberg Blues genommen. In der Doku wird Millionär Christoph Gröner begleitet und dabei gefilmt, wie er im von ihm gekauften Steglitzer Kreisel zur persönlichen Ertüchtigung Treppenlauftrainings absolviert. Dabei stoppen Mitarbeiter:innen die Zeit und halten das Handtuch. Wolfgang Schorlaus Charakter heißt Patrick Kröger und macht – genau das gleiche am selben Ort im selben Settting. Als hätte der Autor die Bildszenen nur in Worten niedergeschrieben. Unglaublich!

Das rief Vorwürfe von Schriftstellerin Petra Reski aus Venedig in mir wach, die Schorlau/ Caiolo ihre Stadt gezeigt und Geschichten erzählt hatte. Sie meint, diese im 1. Morello-Krimi Der freie Hund des Autorenduos wiederzufinden.

Für die 2. Auflage von Kreuzberg Blues wird wohl ggf. nachgebessert, worauf ich schon sehr gespannt bin. Sowohl Schorlau als auch Schorlau & Caiolo listen in jedem ihrer Bücher Danksagungen, Recherchehintergründe und Hinweise auf. Das ist ganz explizit auch in Kreuzberg Blues der Fall. Es werden im Zweifel Gerichte entscheiden müssen, in welchem Verhältnis literarische Freiheit und Urheberrecht im konkreten Fall stehen.

Die Empfehlung, wen Beides interessiert: erst die TV-Dokumentation sehen, dann den Krimi lesen.

Friederike Hartwig

Die TV-Dokumentation UNGLEICHLAND – Reichtum (Julia Friedrichs, Fabienne Hurst, Andreas Spinrath und Michael Schmitt), 2019: Programmankündigung & ARD-Mediathek-Link

Wolfgang Schorlau: Kreuzberg Blues. Denglers zehnter Fall
Erschien im November 2020 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
Gebunden, 412 Seiten, €22.
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