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Tarjei Vesaas: Der Keim

Das schreibt der Verlag:

Tarjei Vesaas (1897-1970) beschreibt in »Der Keim« eine Gruppe von Inselbewohnern, die eine verschworene Gemeinschaft bilden. Ein Neuankömmling auf der Insel bricht in dieses fest gefügte familiäre Miteinander ein und wirft einen dunklen Schatten auf den sonnigen Sommertag. Sein triebhafter Wahnsinn lässt ihn zum Mörder werden – der Mord führt unvermeidlich zu einem zweiten, und die ganze Insel lädt Schuld auf sich. Vesaas schrieb »Der Keim« 1940, einige Jahre vor seinen berühmten Romanen, und leitete nach einem naturalistischen Frühwerk damit die Phase symbolstarker, poetisch verknappter Prosa mit enormer psychologischer Intensität ein. Im Hintergrund klingt noch der traditionelle skandinavische Kollektivroman der Zwischenkriegszeit an. Besonderen Reiz gewinnt das Buch durch sein Entstehungsjahr: 1940 befindet sich Norwegen unter nazideutscher Okkupation, der düstere Eindringling und die Reaktion der Gemeinschaft stehen unter politischen Vorzeichen.

>>Kein zweiter Autor ist in der Lage, das Unbeschriebene und Unausgesprochene mit solch einer Spannung aufzuladen wie Tarjei Vesaas. Und kein zweiter Autor kann sich derart in seine Figuren einfühlen und eine Nähe erzeugen, die einen bei der Lektüre geradezu körperlich erfasst. Vesaas’ sparsame, aber umso eindringlichere Erzählweise lässt jede einzelne Szene, jeden Satz und jede innere Regung zum Ereignis werden, und Hinrich Schmidt-Henkel gelingt in der Übersetzung das Kunststück, dieses filigrane Spiel von Andeutung und Auslassung, von Zurückhaltung und Übersprungshandlung haarfein nachzubilden.

Das sagt Helene Paulig, Stammkundin der Guten Seite:

Dieser Roman wirkt wie aus der Zeit gefallen. Er ist faszinierend und aufwühlend. Die poetische, dichte, fremde Sprache zieht die Leserin augenblicklich in eine andere Welt. Die Insel, auf die der Autor die Handlung gelegt hat, ist grün, friedlich, freundlich. Auch menschlich, weil hier fleißige, rechtschaffene Menschen leben wie Haug und Dal, zwei Arbeiter, die auch mal Pause machen, alle Viere von sich strecken können und ein Bier genießen. Andreas Vest, den ein Explosionstrauma quält, landet oder strandet mit einem Boot auf der Insel. „Wonach sucht er? Nach Stille. Frieden. Und nach Grün.“

Die Idylle wird von Explosionen gesprengt; zuerst von tierischen, dann von menschlichen. Gebannt und erschreckt folgt die Leserin den eindrücklichen Beschreibungen eines Sauen-Aufstandes auf dem Hof von Karl Li. Das ist der mit der riesigen roten Scheune. Die neugierige und einfühlsame Inga Li, 17-jährige Tochter von Karl Li, fühlt das Besondere, das Wahnsinnige an Andreas Vest, will ihm außergewöhnliche Pflanzen zeigen und wird ermordet. Angeführt von Ingas Bruder Rolv Li jagt die Dorfgemeinschaft den Mörder und wird selbst zum Mörder.

Zwei Tote sind nun auf der Insel und ein ganzes Dorf hält inne: in Scham, Selbstmitleid, Reue, Hass. Wer trägt die Verantwortung? Wer hat Schuld auf sich geladen? Wer hat angefangen? Kari Nes, eine einsame, große, stetig wandernde, umherirrende und suchende Frau schafft es, dass sich das Dorf in der Nacht nach der Hetzjagd auf dem Hof von Karl Li versammelt: in der roten Scheune, aber auch im Schweinekoben.

Was dort passiert? Das soll hier nicht beschrieben werden. Tarjei Vesaas ist ein begnadeter Erzähler, der mit wenigen Strichen ein menschliches Universum erschafft. Ein Universum ist groß, unendlich, reich, unergründlich, hat Sonnen und schwarze Löcher. 1940 hat der Autor diesen Roman veröffentlicht, da wurde von Deutschland aus ein brutaler Krieg in Europa geführt, der auch Norwegen erreicht hat.

Nein, die Geschichte versinkt nicht im schwarzen Loch. Sie lässt die Leserin nicht ohne Hoffnung zurück. Mutter und Vater, Mari und Karl Li, behalten ihren Sohn Rolv, der Verantwortung tragen muss, in ihrer Mitte. Die Eltern trauern um Inga; die Weise, wie sie das tun, strahlt ins Dunkel des Dorfes.

Lesen Sie, wie Tarjei Vesaas es schafft, ohne Pathos, ohne simpel und flach zu werden, dem Dorf den Weg zu ebnen, das Ungeheuerliche zu bewältigen. „Im Staub schien ein Keim verborgen gewesen zu sein. So dass man aufstehen konnte.“

Der Roman wirkt wie aus der Zeit gefallen. Es ist ein Roman jeder Zeit.

Tarjei Vesaas: Der Keim
Erschien im März 2023 im Berliner Guggolz Verlag.
Gebunden, 231 Seiten. Originaltitel: Kimen.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel,
In unserem Webshop: €24, ebook €18,99.
>>Als Vesaas’ größte Meisterwerke gelten »Das Eis-Schloss« (im Taschenbuch erhältlich), für das er 1964 den Preis des Nordischen Rats erhielt, und »Die Vögel« (liegt ebenfalls als Taschenbuch vor), das Karl-Ove Knausgård als »besten norwegischen Roman, der je geschrieben wurde« bezeichnete.