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Paul Brodowsky: Väter

Das schreibt der Verlag:
Erst als der Sohn ihn danach fragt, spricht der Vater, Jahrgang 1933, von der NS-Zeit. Von der Nationalpolitischen Lehranstalt, der Napola, vom jüdischen Fellhändler am Markt und von seinem Onkel. Jenem Onkel Paul, nach dem der Sohn benannt ist und der NSDAP-Kreisgeschäftsführer war. Im Bundesarchiv findet der Sohn, als jüngstes von acht Kindern 1980 geboren, nur eine schmale Akte. Doch ihn lassen die Fragen nicht los: Wie setzen sich nationalsozialistische Prägungen auch in seiner Familie fort? Welche überkommenen Ideale, welche patriarchalen Vorstellungen haben sich in ihn eingeschrieben und gibt er vielleicht selbst weiter? In welchen Konflikten treten sie bis heute zutage? Er stellt fest, wie herausfordernd es ist, im Umgang mit den eigenen Kindern seine Rolle als progressiver Vater zu finden, zumal ihm klare Vorbilder dafür fehlen.

>>Paul Brodowsky erzählt in seinem Roman Väter von einem Jahrhundert deutscher Geschichte. Er verdichtet Erinnerungen, Recherchen und Reflexionen zu einem Bild der BRD nach der Zeit des Nationalsozialismus – er arbeitet auf, was in vielen Familien bis heute verschwiegen wird, und spannt so den Bogen von den dreißiger Jahren bis zur Gegenwart. Eine schonungslose Selbstbefragung und Spurensuche nach den Prägungen durch die Großväter und Väter.

Das sagt Die gute Seite:
Noch ein Buch, in dem ein Kind Eltern nach der Nazizeit befragt – ist das nicht längst auserzählt? Offenbar nicht, denn Brodowskys Roman überzeugt in vielerlei Hinsicht, aber vor allem, weil es nicht darum geht, herauszufinden, was der Vater im Krieg tat, sondern die Wirkmuster auf der Persönlichkeitswerdung in den Blick zu nehmen. Leicht und detalliert erzählt – mit Rückgriff auf historische Prägungen.

Die Befragung der vorhergehenden Generation ist notwendiges Thema für sich, aber vor allem Mittel zum Zweck. Wie wurde ich, wer ich bin und wie beeinflusst das, wer mein Kind wird? Was hat mein Sein und Tun in der Gegenwart mit meiner Familiengeschichte zu tun und: wie beeinflusse ich aktiv ihren Fortgang? Im Kontext von Krieg, generationellen Traumata und gesellschaftlichen Krisen ist das eben keine (oder nicht nur) selbstreferenzielle Ich-beschäftige-mich-gern-mit-mir-selbst-Frage von Mittelschichtskids, die mit einem Sensor für Biografiearbeit im weitestens Sinne bereits aufgewachsen sind.

Die Erzählinstanz bezeichnet den Protagonisten feministischen Autor und ist Vater von zwei kleinen Kindern, die er gemeinsam mit Partnerin Judith aufzieht. Das Paar hat eine Wohn- und eine Arbeitswohnung, teilt sich die Sorgearbeit und ist vor allem sehr viel am Organisieren. Mit großer Selbstverständlichkeit werden Dienstreisen, Kinderbetreuung, Feiertermine und überhaupt gemeinsame Zeit in unterschiedlichen Konstellationen aktiv bewegt. Offenbar hat das Paar ein Fundament, so dass Grundsätzliches nicht jedes Mal neu ausgehandelt wird. Aber die Alltagsbewältigung ist Herausforderung genug.

Der Familienvater in der Gegenwart ist im Roman das jüngste von 8 Kindern, dessen Vater somit altersmäßig auch sein Großvater sein könnte und spannt damit einen Zwei-Generationen-Bogen, was den zeitlichen Erzählraum glaubhaft weitet. Aber wie genau geht das nun vonstatten?

Wir folgen dem Protagonisten auf seinen Interviewreisen zum Vater, wie auch durch den eigenen Alltag. Die Verbindungslinien schafft der Blick auf die eigenen Kinder und damit die Wirkmuster eines Drei-Generationen-Geflechts. Spricht er sein Kind mit “Mäuschen” oder mit “Tigerin” an, wie geschlechtersensibel agiert sein Umfeld, natürlich wird Sojamilch aufgeschäumt, die Kinder mit dem Rad oder öffentlichem Nahverkehr durch Berlin bewegt; wie entsteht eine sexuelle Biografie? Der Erzähler wirkt dankbar kunstdurchdrungen, hat einen ziselierfeinen Blick und ein waches soziales Gehör – und zieht doch auch eine “Vaterfratze”, die ihn selbst früher verstörte. Was haben wir selbst – mit Mühe – in der Hand?

Paul Brodowksy gelingt es durch gekonnte Montage den Erzählraum unaufgeregt, fast spielerisch (statt beliebig assoziativ) und trotzdem spannungsvoll zu durchschreiten, die Enden festzuzurren und weitet mit seinem autofiktionalen Roman den Diskusraum um Männlichkeiten, den weitere Einlassungen von Christian Dittloffs Prägungen, Fikri Anil Altintas’ Im Morgen wächst ein Birnbaum und Frédéric Schwildens Toxic Man gerade beleben und voranbringen.

Friederike Hartwig

Paul Brodowsky: Väter.
Erschien im März 2023 im Suhrkamp Verlag.
Gebunden, 302 Seiten.
In unserem Webshop: €24, epub €20,99.