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Helga Bürster: Als wir an Wunder glaubten

Das schreibt der Verlag:

Ende der 1940er Jahre: Der Krieg ist endlich vorbei – doch in dem kleinen Ort Unnenmoor haben die Menschen kaum in ihr Leben zurückgefunden, wie auch im Rest des Landes nicht. Die alten Gewissheiten haben sich als falsch erwiesen, alles, woran man glauben und woran man sich festhalten konnte, taugt ebenso wenig als sicherer Grund wie das Moor. Wanderprediger verkünden den nahenden Weltuntergang und versprechen zugleich Heilung und Erlösung.
Die elfjährige Betty Abels und ihre Mutter Edith kommen gerade so über die Runden. Der Vater ist im Krieg geblieben. Als Betty eines Nachts verschwindet und ihr Freund Willi grün und blau geschlagen im Ort auftaucht, gibt es nur eine Erklärung: Da sind Hexen am Werk. Und wer könnte es wohl eher gewesen sein als die hübsche Edith, die sich zu fein ist für die Männer, die noch übrig sind? Betty und Edith wird zunehmend das Leben schwergemacht. Doch während das Gerede über Hexen immer lauter wird, rückt mit der Trockenlegung des Moors der Fortschritt heran und verspricht den Menschen in Unnenmoor einen Neuanfang …

>>Helga Bürsters neuer Roman taucht atmosphärisch und intensiv in die Zeit der Verlorenheit nach dem Zweiten Weltkrieg ein und erzählt von Menschen, denen die Orientierung abhandengekommen ist, und von ihrer Sehnsucht nach einem Leben ohne die Schatten der Vergangenheit.

Das sagt Die gute Seite:

Für Lektüresuchende wie Buchhändler:innen scheint das Buch mit seiner zeitlichen Verortung in den 1945er Nachkriegsjahren auf den ersten Blick nicht viele Gegenwartsbezüge aufzuweisen. Doch das täuscht gewaltig.

Der titelgebende Wunder- und Aberglaube füllte Wirtshäuser und ganze Stadien, wenn über-/regional berühmte Wunderheiler und Prediger kamen. So verweist Tillmann Bendikowski in seinem jüngst erschienenen Buch Himmel hilf! Warum wir Halt in übernatürlichen Kräfen suchen darauf, dass Krisenzeiten auch immer Zeiten des magischen Denkens sind. Auch an diesem Tage wird medienübergreifend über die Ursprünge von “Freitag, dem 13.” berichtet und Pia Lamberty & Katharina Nocun geben in Gefährlicher Glaube zu Bedenken: “Bewusst propagieren Esoteriker die Abkehr von wissenschaftlich fundierten, rationalen Weltdeutungen und Erkenntnissen.” Und dann ist irgendwann kein Miteinander mehr möglich, weil die jeweiligen Glaubens- und Weltsichtgebäude keinerlei Verbindung mehr zueinander haben. Das schlägt klare Verbindungen ins Heute.

In Helga Bürsters Örtchen Unnenmoor gibt es sowohl den Arzt als auch den “Spökenfritz”, einen reisenden Prediger und viele, viele Bedürftige an Herz & Hirn. Und von diesen erzählt der Roman sehr figurenzugewandt: Edith und Annie, die sich während des Krieges halfen und nun entzweien, die schroffe alte Guste, die den Glauben an Moorgeister und die Pflicht zur Erinnerung lebendig hält und in Betty eine enkelinnengleiche Zuhörerin findet, der beinahe in Berlin hängen gebliebene Kriegsheimkehrer mit losen Erinnerungen, die undurchsichtige fahrende Händlerin Katie mit den richtigen Vertriebsideen zur richtigen Zeit, Wirt Cordugas, der Anlaufstelle für Alle bleiben will, Journalist Theo mit dem Wunsch nach Familie in einem modernen Haus, der Bürgermeister, der immer nur nach vorn in die Zukunft schauen will.

Das Moor gab dem kleinen Ort seinen Namen und soll nun im Namen des Fortschritts mit Hilfe eines “Mammuts” trockengelegt werden. Damit gehen aber vielleicht auch die alte Guste, Kriegsgeschehnisse und die Moormärchen verloren. Es soll jedoch Platz geschaffen werden für Wohnraum und die neue Gesellschaft. Die ringt um demokratische Prozesse, wenn in der Region jemand verurteilt wird, weil er Andere der Hexerei beschuldigte. Aber wo trennen sich gruselige Geschichten über Moormänner von Volks- und Aberglaube, der gefährlich wird für Liebe und Leben? Wenn die Frauen kämpfen müssen, als “Töversche” bezeichnet werden, rotes Haar ambivalente Assoziationen weckt und all das aber zwischen den Zeilen verhandelt wird und Gründe nicht genannt werden – die Folgen aber folgen.

Und gleichsam wird auch das Moor als Naturraum uns Erinnerungsort neu betrachtet werden. Düster, stinkend, gesundheitsgefährdend, unbezwingbar – und nun doch nützlich, naturbelassen und als geschichtlicher Landschaftsbezug.

Schön erzählte Geschichte mit vielen Verbindungen ins gesellschafltliche Hier und Jetzt in norddeutschem Ton zum Verschenken und Selberlesen!

Friederike Hartwig

Helga Bürster: Als wir an Wunder glaubten
Erschien im September 2023 im Insel Verlag/ Suhrkamp.
Gebunden, 285 Seiten.
In unserem Webshop: €23,-
>>Helga-Bürster-Romane im Taschenbuch: Eine andere Zeit und Luzies Erbe.