Das schreibt der Verlag:
Giorgia ist wieder ganz sie selbst. Nur manchmal macht sie Fehler, merkwürdige Dinge, die nicht im Skript stehen. Vielleicht müssen wir sie doch noch einmal schreiben … Ein abgründiger Roman über brüchige Identitäten, männlichen Größenwahn und die durchlässige Grenze zwischen Liebe und Manipulation.
Mit Mitte dreißig sind die Träume grau geworden, das Geld ist immer knapp. Giorgia jobbt an der Supermarktkasse, Filippo führt widerwillig die Bar der Eltern. Ihre Beziehung hält ein prekäres Gleichgewicht – bis Giorgia den Regisseur Mauro wiedertrifft.
Mauro will sie unbedingt zurück auf die Bühne holen. Er weiß, dass Giorgia in ihren Rollen nachgerade aufgeht. Giorgia hingegen weiß um die dunkle Seite ihres Talents: wie die Rolle Besitz von ihr ergreift, bis die Grenzen ihres Selbst sich auflösen. Doch sie gibt der Versuchung nach – mit katastrophalen Folgen. Bei der Premiere bricht Giorgia zusammen. Um sie zu retten, entwerfen Mauro und Filippo einen irrwitzigen Plan. Die beiden Männer schreiben Giorgia buchstäblich die Rolle ihres Lebens auf den Leib; ein Skript, das sie in die Wirklichkeit zurückführen soll …
Claudia Petruccis geschickt konstruierte Dreiecksgeschichte um eine schillernde, immer rätselhaftere Protagonistin lässt nach und nach alle Gewissheiten schwinden.
Das sagt Die gute Seite:
Ein tolles Debüt der dreißigjährigen Autorin, das mit jedem Kapitel ein feinsinnigeres Netz für die Leserin spannt. Unaufgeregt und doch messerscharf konstruiert: Die Vorgeschichte führt bis zur Premiere, nach der Giorgia sich aus dem Fenster stürzen will und später in eine Klinik eingewiesen wird. Zehn Kapitel später stehen ihr Regisseur Mauro und ihr Freund Filippo auf einer Bühne, auf der Giorgias neue Rollen zum Besten gegeben werden. Entscheiden sie für Giorgia oder kann sie mit der Krankheit Subjekt wie Objekt sein?
Auf den 240 Seiten bis dorthin folgen wir Filippos linearer Erzählung um das Begreifen einer schwer fassbaren Krankheit, die die Beteiligten zum Umgang mit ihr herausfordert: Partner, Schwiegereltern, Regisseur, Tante, Chefarzt, Schauspielkolleg:innen schauen naturgemäß sehr unterschiedlich auf Giorgias Person.
Und doch ist es kein Buch nur um “Krankheit”. Die Möglichkeiten des Theaters und die Grenzen von Schauspiel werden ganz nebenbei aufs Tableau gehoben und einige Klischees aufgerufen. Der vom Erbe lebende Bohémien-Künstler ist ebenso präsent wie der Regisseur, der Sex gar nicht einfordern muss, weil eh klar ist, dass er für eventuelle Ensemble-Mitglieder dazugehört. Muss ein Schauspieler narzisstisch oder kann er auch schüchtern sein? Worum kann es bei Theater gehen?
Im Zentrum steht das Dreiecksgeflecht aus Mauro, Filippo und Giorgia. Ersterer unterstützt Zweiteren bei der alltäglichen Bewältigung der plötzlichen Situation und nimmt ihn in seinen Freundeskreis und damit in die Theaterwelt auf. Beide haben unterschiedliche Konzepte von Beziehung, Freundschaft, Zielen. Ist eine Beziehung auch dann erfüllt, wenn sie vermeintlich langweilig ist?
Für mich war Die Übung eine persönlich Blackbox-Pflichtlektüre, bevor ich recht wusste, worum es im Roman eigentlich geht. Und wieder hat es sich sehr gelohnt!
Denn der Verlag Klaus Wagenbach hat in den letzten Jahren tolle Autorinnen verlegt, die mich schwer begeistert haben: Francesca Melandri ist mit Eva schläft, Über Meereshöhe und Alle außer mir mittlerweile ein Star, Guilia Caminitos (Jg´88) Familengeschichte und ihrer tollen Figur der Äbtissin in Ein Tag wird kommen hallt immer wieder in mir nach. Marina Frenk (Jg`86) wurde dankenswerterweise mit ewig her und gar nicht wahr ebenso verlegt wie die großartige Fernanda Melchor (Jg´82), die ziemlich harte Kost mit Saison der Wirbelstürme und Paradeis bietet. Nicht zu vergessen das in ganz anderer und viel leichterer Spur laufende Ich bin ein Laster von Michelle Winters (Jg`72).
Hier zahlt sich offenbar aus, dass der Verlag eigene Lektor:innen beschäftigt, die originär italienisch-, französisch- und spanischsprachige Schätze heben. Ich freue mich jetzt schon auf die kommenden.
Friederike Hartwig
Claudia Petrucci: Die Übung
Erschien im Januar 2022
in der Reihe Quartbuch im Klaus Wagenbach Verlag.
Gebunden 304 Seiten, Originaltitel: L’esercizio.
Aus dem Italienischen übersetzt von Mirjam Bitter,
In unserem Webshop: €23, ebook €19,99.